Welche Chancen und Risiken bietet die Digitalisierung?
Beatrix Rhodovi steht als Executive Search Expertin und Inverses Headhunter für eine individuelle und vertrauensvolle Beratung auf Augenhöhe, ein exklusives Businessnetzwerk und den notwendigen Blick über den Tellerrand. Sie blickt auf 10 Jahre Erfahrung als Personalberater, u.a. in führender Position, und 13 Jahre HR Erfahrung zurück. 2019 gründete sie die Rhodovi Consulting, mit dem Fokus auf die Besetzung von Führungspositionen in Festanstellung und im Interim Management. Des Weiteren unterstützt die Rhodovi Consulting durch das Inverses Headhunting Top Executives bei der Suche nach neuen beruflichen Herausforderungen und Perspektiven.
Beatrix Rhodovi und Roland Bühler sprechen hier über Themen rund um die Digitalisierung im Personalwesen.
Frau Rhodovi, Sie sind Expertin im Bereich Personalwesen und Recruiting. Sie unterstützen Unternehmen und Privatpersonen bei allen Fragen rund um HR und Karriere. Expertise im Coaching rundet Ihr Profil ab. Ich freue mich sehr, dass Sie heute meine Gesprächspartnerin sind, um über Digitalisierung im HR-Bereich zu sprechen. Wie Digital ist der Personalbereich bereits heute, Frau Rhodovi? Wie würden Sie den Status-quo beschreiben?
In den letzten Monaten ist, gezwungen durch Covid-19 und damit verbundenem Homeoffice, Führung auf Distanz u.Ä., vieles in Richtung Digitalisierung passiert. Es spielte jedoch auch viel schnelles Handeln und Aktionismus mit ein, sodass meines Erachtens oftmals mit „Kanonen auf Spatzen“ geschossen wurde.
Aufgrund der vielen digitalen Lösungen auf dem Markt verliert man als Unternehmen sehr schnell den Überblick. Man orientiert sich an Marktführern und den Mitbewerbern, ohne sich vielfach darüber im Klaren zu sein, was benötige ich individuell als Unternehmen. Was ist meine Best Practice, meine Unternehmenskultur, meine Prozesse und wie soll meine Außendarstellung sein? Insbesondere im Recruiting sind dies entscheidende Themen, denn die passenden Zielgruppen und Subzielgruppen zu definieren und anschließend anzusprechen, sind im Recruiting genauso erfolgsrelevant, wie im Vertrieb.
Die Notwendigkeit sollte jedem Unternehmen bewusst sein und der HR-Bereich sollte damit nicht allein gelassen werden. Das heißt, hier ist eine abteilungsübergreifende Kommunikation notwendig und letzten Endes, dies halte ich für entscheidend, sollte Recruiting zur „Chefsache“ ernannt werden. Ist einem dies als Unternehmen bewusst, lassen sich individuellere Digitalisierungslösungen finden, die ihren Zweck erfolgreich erfüllen und gesunde Unternehmensentwicklungen zulassen um letztendlich konkurrenzfähig bleiben zu können.
Sie beschreiben hier ein typisches Phänomen, welches man häufig beobachtet, wenn es um Digitalisierung geht: Man schaut zunächst auf die Technologie bevor man sich über die eigentlichen Anforderungen Gedanken macht. Und wie Sie auch erwähnen: Abteilungsübergreifende Anforderungen sind wichtig. Wenn ich Sie richtig verstehe, sollte sich demnach HR nicht alleine auf den Weg machen und digitale Lösungen entwickeln. Mit welchen Abteilungen sollte sich HR hier abstimmen? Und welche konkreten Anforderungen können sich als Basis für ein solches Digitalisierungsvorhaben beispielsweise entwickeln?
Um eine zielgerichtete, zweckmäßige und vor allen Dingen individuell passende Lösung zu finden, braucht es eine Zusammenarbeit zwischen der Unternehmensführung, dem HR, Vertretern aus allen Fachbereichen, guten Kommunikationstalenten und vor allen Dingen die Bereitschaft zur offenen Kommunikation und zum aktiven Zuhören. Insbesondere die interne Unternehmenskommunikation ist im ersten Schritt gefragt, sodass jedem Fachbereich die Relevanz des Themas klar wird. Da am Ende des Tages jeder Fachbereich zugeben muss, Interesse an passenden neuen Teammitgliedern und Kollegen zu haben, ist dies durchaus umsetzbar. Nun bewegen wir uns mit diesen Maßnahmen immer noch im analogen Bereich und man fragt sich zurecht, wo setzt da die Digitalisierung ein.
Für mich steht im Bereich des Recruitings, respektive in der Unternehmensentwicklung, der Mensch im Mittelpunkt, in absoluter Gänze und in allen Stufen des Prozesses. Die persönliche Interaktion, eine wertschätzende Kommunikation und ein gleichzeitiges Erkennen der notwendigen und entscheidenden Kompetenzen und Potentiale ist der Fokus und die Essenz dieses Prozesses. Leider bleibt durch den enormen administrativen Aufwand in den Rekrutierungsprozessen, insbesondere heutzutage, der noch umfangreicher bei falsch eingesetzten Digitalisierungsmaßnahmen wird, dieser Fokus auf der Strecke.
Eine sinnvolle Digitalisierung sehe ich in der Automatisierung von administrativen Aufgaben, um wieder mehr Raum für die persönliche Interaktion und Kommunikation zu schaffen. Und dies nicht nur im HR-Bereich bzw. im Recruiting.
Das ist eine interessante Entwicklung. Man automatisiert also, um mehr menschliche Interaktion zu ermöglichen. Demnach entsteht hier auch gar keine Konkurrenz zwischen Mensch und Maschine, sondern eine sinnvolle Ergänzung, beziehungsweise sogar eine Unterstützung der menschlichen Kommunikation durch mehr freie Ressourcen. In der Marketingtechnologie wird häufig auch auf Automatisierung der Kommunikation an sich gesetzt. So sollen beispielsweise Standardanfragen von Kunden oder Interessenten durch Chatbots unterstützt werden.
Sehen Sie diese Trends ebenfalls im Personalbereich, z.B. am Beispiel von Recruiting-Chatbots? Und falls ja, wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Chatbots sind in unserer heutigen Welt, respektive Arbeitswelt, nicht mehr wegzudenken und die Entwicklung ist rasant. Vom einfachen Chatbot, der Standardfragen beantwortet bis zur Entwicklung von selbstlernenden Systemen, die immer komplexer in ihren Möglichkeiten der Kommunikation werden
Attraktiv ist natürlich, dass ein Chatbot immer erreichbar ist und mehrere Anfragen gleichzeitig beantworten kann. Dies ist natürlich auch im Recruiting interessant, egal ob der Personaler im Urlaub, im Termin oder im Gespräch ist, ob es Wochenende oder nach Feierabend ist, Fragen werden beantwortet. Es spart Zeit und schafft zudem mehr Raum für andere Tätigkeiten, wenn man aufgrund von Bewerberanfragen nicht aus der täglichen Routine gerissen wird. Soweit, so gut. Allerdings sollte man auch beachten, dass ein System, das komplexe Aufgaben löst, eingerichtet und gepflegt werden muss. Und hier muss sich jedes Unternehmen die Frage stellen, lohnt sich der zeitliche und monetäre Aufwand.
Meines Erachtens ist es aktuell noch ein Thema für Großunternehmen, die täglich eine Vielzahl von Bewerbern zu managen haben. Dann geht die „Rechnung“ und der Nutzen auf, durch diese Art der Digitalisierung der persönlichen Interaktion und Kommunikation mehr Raum zu geben. Ist dies nicht der Fall, haben Chatbots, und die Einrichtung dieser, genau den gegenteiligen Effekt. Und dann sind natürlich noch die Bedürfnisse der Zielgruppe, sprich der Bewerber, zu beachten. Die tägliche Praxis zeigt, dass diese sich grundsätzlich mehr, individuellere und vor allen Dingen wertschätzendere Kommunikation im Bewerbungsprozess wünschen. D.h. insbesondere im Rahmen von Chatbots ist der Einsatz im Hinblick auf die Candidate Experience eine Gradwanderung. Sicherlich ist es ein Vorteil, schnell eine Eingangsbestätigung zu erhalten und den Stand des Bewerbungsverfahrens unkompliziert und zu jeder Zeit erfragen zu können.
Allerdings ist der Wunsch, möglichst schnell mit einem relevanten Ansprechpartner in persönlichen Kontakt zu kommen, nach wie vor bei den Bewerbern groß. Also ist ein sensibles Abwägen beim Einsatz von Chatbots gefragt. Kaum einer möchte dauerhaft durch einen digitalen und virtuellen Bewerbungsprozess ohne persönlichen Kontakt geführt werden, geschweige denn, mit einer KI ein Bewerbungsgespräch führen. Und dies liegt nicht nur an der noch nicht ausgereiften Technik. Das Mind-Set der Gesellschaft ist noch nicht soweit und als Headhunter, der seine Leidenschaft darin sieht, berufliche, individuelle und unternehmerische Potentiale im Rahmen von sehr persönlicher Interaktion zu entfalten, daraus Synergien zu erarbeiten und schlussendlich beide Seiten erfolgreich zusammenzubringen, begrüße ich diese Denkweise.
Ich teile diesbezüglich Ihre Einschätzung auch aus Erfahrungen, die ich mit Conversational Interfaces im Bereich Marketing und Vertrieb mache. Wichtig ist, die Grenzen der jeweiligen Technologie zu kennen und keine “Gadgets” zu schaffen. Nur wenn Chatbots und Co. in eine ganzheitliche Customer oder Talent Journey eingebunden sind, bieten sie einen Mehrwert für beide Seiten. Und hier ist der Faktor Mensch wahrscheinlich gerade im Recruiting noch entscheidender als im Marketing. Wichtig ist daher sicherlich einen charmanten Übergang von der automatisierten Kommunikation zu einer persönlichen Kommunikation zu schaffen. Gerade hier liegt aber die Herausforderung.
Ein weiterer Punkt ist sicherlich das Thema Datenschutz, wenn es um Digitalisierung im Recruiting geht. Am Beispiel unseres Chatbots wird das gut ersichtlich, wenn dort bereits persönliche Daten von Bewerbern eingegeben werden. Welche Herausforderungen sehen Sie hier? Und wie kann trotz oder gerade durch Digitalisierung Vertrauen generiert werden?
Der sichere und diskrete Umgang mit Daten ist zum Glück schon seit langem ein wichtiges Thema im HR, da nicht nur Kontaktdaten, sondern auch weitere, sehr persönliche Daten von Personen erfasst werden. Die DSGVO hat natürlich das ganze Thema noch verschärft. Aber, wie ich finde, aus gutem Grund. Bewerberdaten dürfen z.B. nur nach Zustimmung gespeichert, bearbeitet und ausgedruckt werden und dies nicht zeitlich unbegrenzt. Die jahrelangen sogenannten „Karteileichen“ in diversen Bewerberdatenbanken haben somit weniger Chancen. Und der Umgang mit persönlichen Daten muss in der Kommunikation wesentlich transparenter gestaltet werden. Dies empfinde ich im Recruiting eher als eine Verbesserung.
Natürlich hat es uns auch im Recruiting vor technische Herausforderungen gestellt und man musste viele Prozesse überdenken und optimieren. Ich sehe dies aber als natürliche Entwicklung und notwendige Herausforderung. Je mehr wir digital kommunizieren, egal ob via E-Mail, Chatbots, Social Media, ZOOM o.Ä. ist es notwendig, dass wir uns über Datensicherung und Sicherung der Privatsphäre Gedanken machen. Digitale Kommunikation eröffnet uns unglaublich viele Möglichkeiten, schnell, zeitnah und über Grenzen hinweg zu interagieren. Ein ganz klarer Mehrwert, wie ich finde, sowohl privat als auch fachlich sowie beruflich. Wir müssen nur lernen, damit sorgsam und aufgeklärt umzugehen. Offene Kommunikation schafft auch in diesem Fall Vertrauen. Ich z.B. erkläre meinen Kandidaten sehr genau, wo und wie ich ihre Daten speichere.
Mit meinen Kundenunternehmen gehe ich ebenso transparent vor. Dies ist bei mir allerdings auch nicht sehr komplex. In großen Strukturen hilft diesbezüglich ggf. ein schriftliches oder auf Video verfasstes Statement auf der Karriereseite. Wesentlich persönlicher und vertrauensvoller, als wenn sich der Bewerber erst durch die gesamte Datenschutzverordnung „kämpfen“ muss. Der wichtigste Punkt am Ende des Tages ist und bleibt jedoch, insbesondere im Rahmen des Datenschutzes, für saubere und sichere Prozesse zu sorgen. Ist man sich über diese Verantwortung nicht bewusst, funktionieren am Ende diese Prozesse nicht sicher sowie datenschutzkonform und sie schaden einem Bewerber, respektive einer Person, die ihnen vertrauensvoll ihre gesamte berufliche Laufbahn und mehr anvertraut hat, brauchen Sie sich über Vertrauen keine Gedanken mehr zu machen. Dieses ist dann dahin. So ein Image geht ganz schnell viral.
Frau Rhodovi, ich bedanke mich zunächst ganz herzlich für diesen interessanten Dialog und die Einblicke in Digitalisierungsthemen im Personalwesen. Und ich freue mich sehr darüber, dass wir bereits besprochen haben, diese Unterhaltung fortzusetzen und auf diesem Blog zu teilen. In unseren weiteren Unterhaltungen wird es unter anderem um die perfekte „Talent Journey“ gehen.
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